Dagmar Herzog: Eugenische Phantasmen: Behinderung, Macht, Moral

Wie wurden die moralpolitischen Debatten um den Wert von Leben mit Behinderung in Deutschland vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart geführt? In einem Zeitraum, in dessen Mitte der nationalsozialistische Massenmord stand? Die Zeithistorikerin Dagmar Herzog spannt in ihren Vorlesungen einen Bogen von der fürsorglich-paternalistischen Pflege in christlichen Heilanstalten vor 1900 bis zur Abwehr der AfD-Angriffe in den 2010er Jahren. Moderiert werden die drei Vorlesungen von Prof. Dr. Martin Saar, der an der Goethe-Universität politische Philosophie lehrt.

Wie konnte sich ein theologisches Paradigma, dem zufolge sich Gott besonders unter den Allerschwächsten entfaltet, in ein verbrecherisches Denken verkehren? Und wie hängt dies mit der Irritation über eine (angeblich jüdisch forcierte) sexuelle Liberalisierung in der Weimarer Zeit zusammen? Wie haben sich in der Nachkriegszeit doch Argumente für den Wert des Lebens mit Behinderung durchgesetzt, so dass heute Menschen mit Behinderung als Subjekte respektiert und nicht mehr als Objekte der Fürsorge oder der Diskriminierung geringgeschätzt werden? Diesen Fragen geht Herzog nach, sie nimmt dabei drei sich überlappende Zeitspannen in den Blick und zeigt, dass die komplexe Beziehung zwischen Tatsachen und Interpretation bis heute eine zentrale Rolle für den Umgang der gesellschaftlichen Mehrheit mit Behinderung spielt.

Dagmar Herzog ist Distinguished Professor of History am Graduate Center der City University of New York. Sie hat zahlreiche Bücher zur Geschichte der Religion, zur Sexual- und Geschlechtergeschichte in der Moderne geschrieben. Für ihre Forschung wurde sie 2014 mit dem Distinguished Achievement Award der Holocaust Educational Foundation ausgezeichnet.

Die Frankfurter Adorno-Vorlesungen
Seit 2002 veranstaltet das Institut für Sozialforschung in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag jährlich Vorlesungen, die an drei Abenden an Theodor W. Adorno erinnern sollen. Dabei geht es nicht um eine philologische Ausdeutung seines Werks, sondern darum, seinen Einfluss auf die heutige Theoriebildung in den Humanwissenschaften zu fördern und die lebendigen Spuren seines interdisziplinären Wirkens in den fortgeschrittenen Strömungen von Philosophie sowie Literatur-, Kunst- und Sozialwissenschaften sichtbar zu machen.

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