Wolfgang Streecks Ausgangsthese ist, dass der »Spätkapitalismus« der Krisentheorien der 1960er und 1970er Jahre in Wahrheit der Anfang einer damals unvorstellbaren Expansion kapitalistischer Produktions- und Konsumtionsverhältnisse war. Allerdings war diese Expansion von einer fast vier Jahrzehnte langen Abfolge von Inflation, Staatsverschuldung und Privatverschuldung begleitet, die in der gegenwärtigen internationalen Banken- und Fiskalkrise ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Diese wiederum hat sich zu einer fundamentalen Krise der Koexistenz von Demokratie und Kapitalismus sowie des Staatensystems der entwickelten Industriegesellschaften insgesamt ausgewachsen.
Die Vorlesungen behandeln die Verhinderung beziehungsweise den Aufschub der in den 1970er Jahren vorhergesagten »Legitimationskrise« durch Inflation, Staats- und Privatverschuldung, die nacheinander bis zum Zusammenbruch des »Pumpkapitalismus« (Dahrendorf) nach 2007 als verteilungspolitische Pazifizierungsinstrumente an die Stelle des Wachstums der Nachkriegsjahre getreten waren. Sie beschreiben den Weg in die Finanz- und Fiskalkrise der Gegenwart als Prozess einer langfristigen Transformation des Verhältnisses von Demokratie und Kapitalismus, zeichnen den Wandel vom Steuer- zum Schuldenstaat nach, untersuchen seine Folgen für demokratische Politik und diskutieren die gegenwärtige Entwicklung hin zu einem Konsolidierungs- und Austeritätsstaat.
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Streeck ist seit 1995 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln und Professor für Soziologie an der Universität zu Köln. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen im Themenbereich der Vorlesungen zählen aus jüngster Zeit: Re-Forming Capitalism: Institutional Change in the German Political Economy. Oxford: Oxford University Press 2009; Markets and Peoples. Democratic Capitalism and European Integration, in: New Left Review 73, Januar/Februar 2012, 63–71; The Crises of Democratic Capitalism, in: New Left Review 71, September/Oktober 2011, 5–29 (Deutsch in: Lettre International 95, Winter 2011, 7–17); Taking Capitalism Seriously: Towards an Institutional Approach to Contemporary Political Economy, in: Socio-Economic Review 9. 1, 2011, 137–167; Politik im Defizit: Austerität als fiskalpolitisches Regime (mit Daniel Mertens), in: Der moderne
Staat 3. 1, 2010, 7–29.
Die Frankfurter Adorno-Vorlesungen
Seit 2002 veranstaltet das Institut für Sozialforschung in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag jährlich Vorlesungen, die an drei Abenden an Theodor W. Adorno erinnern sollen. Dabei geht es nicht um eine philologische Ausdeutung seines Werks, sondern darum, seinen Einfluss auf die heutige Theoriebildung in den Humanwissenschaften zu fördern und die lebendigen Spuren seines interdisziplinären Wirkens in den fortgeschrittenen Strömungen der Philosophie, der Literatur-, Kunst- und Sozialwissenschaften sichtbar zu machen.