Persönlichkeit in der Bewerbung? Performative Regeln im Verkauf der Arbeitskraft

Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsmarktverhalten werden neuerdings verstärkt in einer Semantik des Marketing und des Verkaufs beschrieben. Tatsächlich ist die Bewerbungssitua­tion strukturell eine Verkaufssituation. Allerdings ist die Arbeitskraft als Ware nicht von der Person ihres Verkäufers zu trennen. Für die Bewerber geht es um die eigenen Lebens- und Entfaltungschancen. Und sie müssen nach der Einstellung einlösen, was sie im »Verkaufsge­spräch« versprochen haben.

Mit der These der »Subjektivierung von Arbeit« fassen Arbeitssoziologen eine doppelte Ent­wicklung in der gegenwärtigen Arbeitswelt zusammen: Erstens besteht ein gewachsener funktionaler Bedarf der Unternehmen an Subjektivität der Arbeitenden. Daher richten sich Erwartungen an die Beschäftigten, subjektive Potenziale in die Arbeit einzubringen und selbstorganisiert, sozial kompetent, eigenverantwortlich und »unternehmerisch« zu handeln. Zweitens sind auch auf Seiten der Beschäftigten die subjektiven Ansprüche an befriedigende Arbeit und Selbstverwirklichung in der Arbeit gewachsen. Andererseits fordern Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktreformen (»Hartz IV«), sich um jedwede Arbeit zu bemühen.

Das Projekt hat untersucht, ob und wie sich die neuen Anforderungen, Ansprüche und Restriktionen in der Rekrutierungssituation niederschlagen. Es ist darüber hinaus der Frage nachgegangen, ob und in welchem Sinne sich diese Subjektivitätserwartungen und Glaubwürdig­keitsansprüche mit der Verkaufs­logik der Bewerbungssituation verbinden. Hierzu wurden zwei Untersuchungszugänge verfolgt: Zum einen wurden relevante Texte der Ratgeberliteratur und Trainingskonzepte für Bewerbungen analysiert und entsprechende Trai­nings beobachtet. Zum andern wurden Bewerbungssituationen im Hinblick auf ihre expliziten und impliziten Regeln der Performanz, der Erwartungen an Glaubwürdigkeit und Verkaufs­verhalten analysiert. Durchgeführt wurden Interviews mit Personalverantwortlichen in kontrastierenden Arbeitsfeldern, deren Anforderungen sich hinsichtlich Kundenbezug, Selbst­organisation und Beschäftigungsperspektive der Arbeit unterscheiden, Interviews mit BewerberInnen und qualitative empirische Fallstudien von Rekrutierungsvorgängen

Ergebnisse

Den Persönlichkeitseigenschaften und sozialen Kompetenzen von Bewerbern wird in der Personalauswahl eine große Bedeutung zugemessen. In einer qualitativen empirischen Untersuchung wurden mit Personaleinstellern aus 17 Unternehmen und mit 20 BewerberInnen offene, leitfadengestützte Interviews geführt. Außerdem wurde in einem chemisch-pharmazeutischen Unternehmen die Personalauswahl teilnehmend beobachtend untersucht sowie eine Messe ausstellender BewerberInnen. In zwei weiteren Fallstudien wurden Vorstellungsgespräche beobachtet. Alle Personaleinsteller betonten die zentrale Bedeutung der außerfachlichen Kriterien. Allerdings wird eine entsprechende fachliche Passung vorausgesetzt. Da diese in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit in der Regel bei einer ausreichenden Zahl von BewerberInnen gegeben ist, werden soziale Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften oft zum ausschlaggebenden Einstellkriterium. Eine genauere Analyse zwingt jedoch zu einer differenzierenden Betrachtung.

Zwar betonen alle Einsteller die Bedeutung von Persönlichkeitseigenschaften und sozialen Kompetenzen, doch verstehen sie in verschiedenen Arbeits- und Branchenkontexten hierunter sehr Verschiedenes. In einigen Bedeutungsclustern sind recht traditionale Arbeitstugenden angesprochen. Erkennbar wird in vielen Fällen eine Verschiebung des Sinngehalts von einer nicht-reflexiven zu einer reflexiven sozialen Kompetenz, in der es um die Kommunikations- und die Reflexionsfähigkeit sozialen Handelns geht. Auch in den Persönlichkeitseigenschaften spielen häufig reflexive Momente eine Rolle, etwa im Verhältnis zu den eigenen Arbeitsweisen und ‑motiven sowie zur Erwerbsbiographie. Dies korrespondiert mit veränderten Anforderungen der Arbeit in distanzierteren Kooperations- und Teamstrukturen, im Kundenkontakt und mit einer Relativierung der reinen Fachlichkeit gegenüber Anforderungen der überfachlichen Kommunikationsfähigkeit. Die Identifizierung der außerfachlichen Kompetenzen ist zudem in eine zunehmend organisatorisch rationalisierte Auswahlorganisation integriert. Hier richtet sich die Aufmerksamkeit überwiegend erst in einer fortgeschrittenen Phase der Personalauswahl auf sie. Die Auswahlorganisation wird zunehmend effektiviert und standardisiert, so dass nicht von einer größeren Personorientierung des Bewerbungsverfahrens gesprochen werden kann. Insgesamt fungieren Termini wie soziale Kompetenzen somit als vage Leitbegriffe, deren Sinngehalt jedoch variiert. Relevante Entwicklungen werden eher deutlich, nimmt man die Veränderungen des Sinngehalts in den Blick.

Zwar steht der Wert der Authentizität bei den Personaleinstellern ganz hoch im Kurs, sie wird jedoch funktional als Voraussetzung treffsicherer Bewerbereinschätzung und Prognosefähigkeit betrachtet. Hieraus resultiert für das Verhalten der Bewerber das Authentizitätsparadox, authentisch die spezifischen Erwartungen der Einsteller erfüllen zu sollen. Die Umgangsweisen der BewerberInnen mit der Bewerbungssituation unterscheiden sich wesentlich in der Bedeutung authentischen Verhaltens. Es ist an eine bereits entwickelte Arbeitsidentität und eine individuelle Arbeitsmarktsituation gebunden, die BewerberInnen vom unmittelbaren Druck des Bewerbungserfolgs entlastet.

Damit kontrastieren reale Bewerbungsinteraktionen zu den Leitbildern der Bewerbungsratgeber, von denen die Arbeitsmarktbedingungen ausgeblendet werden. Nur auf diese Weise können sie davon ausgehen, dass es im Interesse der Personaleinsteller und der Bewerber ist, ein optimales Matching zwischen Stelle und Bewerberpersönlichkeit zu ermöglichen, wofür authentische Selbstdarstellung Voraussetzung ist. In der ausdifferenzierten Bewerbungsindustrie werden Selbstvermarktung und Authentizität so als gleichrangige undvereinbare Werte konstruiert.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse des Projekts, dass sich die Prozesse der Vermarktlichung und Subjektivierung der Arbeit auch in der Personalrekrutierung niederschlagen. Sie sind allerdings gebrochen durch die Dominanz einer rationalisierten Auswahlorganisation. In der Bewerbungsinteraktion erweist sich die gute Verkäuflichkeit der Arbeitskraft als Voraussetzung für ein authentisches Bewerbungsverhalten.

Veröffentlichungen

Voswinkel, Stephan 2008: Der Support des Bauches. Entscheidungsorganisation bei der Personaleinstellung, in: Karl-Siegbert Rehberg (Hg.): Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel (CD-Beilage). Frankfurt a. M. und New York: Campus, 4997–5007.

Voswinkel, Stephan 2008: Bewerbungsratgeber. Funktionale Authentizität und Verkauf der Arbeitskraft, in: Petia Genkova (Hg.): Erfolg durch Schlüsselqualifikationen? »Heimliche Lehrpläne« und Basiskompetenzen im Zeichen der Globalisierung. Lengerich: Pabst, 88–101.

Antragsteller:in