Zwischen Kundenorientierung, Organisationsanforderungen und Professionalität: Dienstleistungsbeschäftigte im Kundenkontakt

Dr. habil. Stephan Voswinkel, Anna Korzekwa

2002 bis 2004

Als Reaktion auf die Beschäftigungskrise wird in Deutschland in den letzten Jahren dafür plädiert, die Beschäftigung im Dienstleistungssektor, insbesondere auch in personenbezogenen Dienstleistungen auszuweiten. Gefordert wird in diesem Zusammenhang eine Veränderung der fehlenden »Dienstbereitschaft« deutscher Arbeitnehmer(innen) wie auch der geringen Bereitschaft deutscher Kund(inn)en, sich bedienen zu lassen. Unter dem Stichwort der Kundenorientierung scheint in der Debatte über die in Deutschland unentwickelte Servicekultur das Verständnis von Dienstleistungsarbeit zwischen Dienst und Leistung und damit ihr Sozialprestige neu ausgehandelt zu werden.

Vor diesem Hintergrund wurde seit 2002 ein von der Hans-Böckler-Stiftung gefördertes Forschungsprojekt durchgeführt und im Juni 2004 mit dem Abschlussbericht abgeschlossen. Methodisch standen Fallstudien in ausgewählten Arbeitsstätten und Settings interaktiver Dienstleistungsarbeit vor allem des Einzelhandels und des Gastgewerbes im Zentrum der empirischen Forschung. Die Arbeitsstätten unterschieden sich nach dem Grad der Selbstbedienung, der zugleich einen unterschiedlichen Grad des personalisierten Services und eine spezifische Form der Dienstleistungsarbeit bedingt. Geführt wurden leitfadengestützte qualitative Einzelinterviews mit Managementvertretern und Marktleitern, (wo vorhanden) Betriebsratsmitgliedern und in erster Linie mit Beschäftigten, die im Kundenkontakt tätig sind. Außerdem konnten in vier Betrieben Schulungsmaßnahmen für die Beschäftigten im Kundenkontakt beobachtet werden. Ergänzt wurde die Empirie durch Beobachtungen der Kundeninteraktion in den Arbeitsstätten.

Die Entwicklung der Dienstleistungsarbeit sowohl im Einzelhandel als auch im Gastgewerbe ist wesentlich gekennzeichnet durch die Gleichzeitigkeit von Prozessen der Entpersonalisierung von Dienstleistung (etwa in Selbstbedienungssystemen) und wachsenden Anforderungen an kundenorientiertes Verhalten von Organisationen und Beschäftigten. Dabei müssen Selbstbedienung und Kundenorientierung nicht als Gegensätze betrachtet werden. Vielmehr entspricht Selbstbedienung heute den Präferenzen vieler Kunden. Insofern muss man von widersprüchlichen Erwartungen des »paradoxen Kunden« ausgehen.

Der Trend zur Selbstbedienung entspricht dem im Einzelhandel und Gastgewerbe verbreiteten (wenn auch nicht einzigen) Rationalisierungsmodell, demzufolge Produktivitätsgewinne wie auch Markterfolge durch eine systemische Optimierung der Warenwirtschaft, der Logistik, der Einkaufspreispolitik, der Verbesserung der Kooperation von Industrie und Handel (»Efficient Consumer Response«) und der Personalreduzierung bei besserer Abstimmung der Personalbesetzung an die schwankenden Kundenfrequenzen durch unterschiedlichste Modelle der Teilzeitarbeit angestrebt werden. Zugleich aber werden an die Beschäftigten im Kundenkontakt zunehmend Anforderungen an ein verbessertes Serviceverhalten gerichtet. Diese Erwartungen gehen mit einer Kompetenzausdünnung der Grenzstellenfunktionen einher, so dass den Märkten vor Ort und insbesondere den Beschäftigten im Kundenkontakt primär die Aufgabe bleibt, das Angebot funktionsfähig zu halten, die Kunden zu kontrollieren und dabei eine freundliche Atmosphäre zu verbreiten.

Im Mittelpunkt des Projekts steht die »Kundeninteraktionsarbeit«, also die Arbeit, die im Kontakt mit Kunden geleistet wird. Im empirischen Material ließen sich mit der Normalisierungs-, der Kontroll-, der Transfer-, der Beratungs-, der Verkaufs-, der Animations- und der Hilfearbeit verschiedene Elemente der Kundeninteraktionsarbeit identifizieren. Sie stellen den Beschäftigten im Kundenkontakt immer wieder dilemmatische Handlungsanforderungen. Zentral sind a) Konflikte zwischen der Verkaufs- und Beratungsarbeit, in denen die Differenz von Verkaufs- und Kundenorientierung zum Ausdruck kommt, b) uneindeutige Definitionen der Dienstleistungssituation hinsichtlich der Frage, inwieweit es sich um Fremd- oder Selbstbedienung handelt, c) Konflikte zwischen den Anforderungen der Kontrollarbeit sowie der Normalisierungs- oder Animationsarbeit. Die Dilemmata und Konflikte machen deutlich, dass in der Arbeit im Kundenkontakt verschiedene Handlungslogiken und -anforderungen gleichzeitig und einander widersprechend existieren und widersprüchliche Verhaltenserwartungen an die Beschäftigten zu Folge haben.

Die Beschäftigten geben der Kundeninteraktionsarbeit einen eigenen Sinn, sie betonen Aspekte der Arbeit, die funktional weniger im Vordergrund stehen und sie rahmen sie in einer Weise, die es ihnen erlaubt, damit normative Konflikte und dilemmatische Handlungsanforderungen zu bearbeiten und Anerkennungsansprüche aufrecht zu erhalten. Häufig wird Verkaufsarbeit zum Beispiel als Beratungs- oder Animationsarbeit gerahmt, die den Kunden zu seinem Glück verführt, indem sie ihm einen bestimmten Kauf nahelegt, oder Normalisierungsarbeit wird von den Beschäftigten als Hilfearbeit begriffen, die einen positiven normativen Gehalt besitzt und die Position der Beschäftigten gegenüber den Kunden aufwertet.

Nach wie vor sind sachlich-fachliche Kompetenzen etwa der Warenkenntnis hilfreich und notwendig, auch wenn sie in Selbstbedienungskontexten im normalen Dienstleistungsablauf eher selten abgerufen werden. Wesentliche Anforderungen mentaler, kommunikativer und sozialer Art sind hingegen zu wenig anerkannt. Im Vordergrund steht für die Beschäftigten die Bedeutung der Selbstkontrolle und der Fähigkeit zur Kategorisierung von Kunden. Gefordert ist – bei den verschiedenen Elementen der Kundeninteraktionsarbeit in unterschiedlichem Maße – Flexibilität nicht nur im Sinne der arbeitszeitlichen Verfügbarkeit, sondern im Sinne der Fähigkeit, mit dem Wechsel von Anspannung und Leerlauf umzugehen, den Stress auszuhalten, der sich aus der Verdichtung von Erwartungen infolge zeitgleicher Kundenerwartungen ergibt, Kunden schnell zu rekategorisieren und sich emotional umzustellen, potenzielle Störungen vorab mit aufmerksamem Blick zu erkennen und sich angesichts der schwer planbaren Arbeitserfordernisse »für nichts zu schade zu sein«. Zentral ist dabei die Fähigkeit zum Emotionsmanagement: der eigenen und der Emotionen der Kunden. Funktionsfremde Emotionen sind im Sinne der Trennung von Funktion und Rolle auszublenden, die Beschäftigten müssen sich von der Stimmung der Kunden distanzieren beziehungsweise diese heben können. Sie verstehen dabei das Emotionsmanagement nicht nur als Belastung, sondern auch als Empowerment, wenn es ihnen beispielsweise gelingt, mit »cooler Freundlichkeit« Distanz zum Kunden zu wahren oder mit »offensiver Freundlichkeit« den Kunden zu steuern und Auseinandersetzungen mit ihm zu gewinnen.

In ihrer Leistungsorientierung lassen sich zwei Ausrichtungen unterscheiden, die teilweise in widersprüchlicher Weise koexistieren. Die Beschäftigten sind dann mit ihrer Arbeit zufrieden und haben das Gefühl guter Leistung, wenn die Arbeit störungsfrei verläuft: Die Dienstleistung verläuft normal, der Kunde ist »zufrieden«. Oder die Beschäftigten haben das Gefühl der Selbst-Wirksamkeit. Dies kann Verschiedenes meinen: Sie machen die Erfahrung, fachlich, mit ihrer Meinung gefragt zu sein oder die Stimmung der Kunden zu beeinflussen. Sie managen erfolgreich schwierige Situationen und »holen den Kunden runter«. Sie werden als Personen vom Kunden identifiziert, indem sie gelobt werden oder Kunden gerade sie als Bedienung wünschen. Sie können Kunden in bestimmter Weise helfen oder ihnen gelingt es, Umsatzkennziffern zu übertreffen.

Kundeninteraktionsarbeit bietet spezifische Anerkennungschancen, beinhaltet aber auch besondere Anerkennungsprobleme und -defizite in der Interaktion mit Kunden. Sie erfahren hier auch interaktiv immer wieder das in ihrer Wahrnehmung geringe Sozialprestige ihrer Tätigkeit. In der Kundenbeziehung wird zudem der eigene Status mit demjenigen des Kunden in einen Vergleich gesetzt. Hier können sich nun Statusprobleme zuspitzen, wenn die Beschäftigten den Status des Kunden sehr niedrig taxieren, gleichwohl ihn als Kunden aber »bedienen« müssen. In der Arbeit mit Kunden steht nicht zuletzt eine elementare Form der Anerkennung im Vordergrund, die man als Beachtung der Anstandsregeln bezeichnen kann. Das betrifft etwa das Grüßen, die Beantwortung eines Grußes, das Danken und Bitten und dergleichen basale Anstandsregeln. Die Mitarbeiter/innen erwarten, dass der Kunde sie so behandelt, wie sie den Kunden behandeln (und umgekehrt). Vor allem aber sind es organisatorische Rahmenbedingungen, die Entpersonalisierung vieler Dienstleistungen und die Halböffentlichkeit des Arbeits-Raums, die Unklarheit über die Geltung von Anstandsregeln erzeugen. Schließlich ist gerade auch erfolgreiche Arbeit vor allem im Sinne der Normalisierungsarbeit unsichtbare Arbeit. Ihr Erfolg besteht gerade darin, Normalität zu gewährleisten. Unsichtbare Arbeit erfährt selten explizite Anerkennung, sichtbar wird sie im Falle der Störung. Wenn dann gerade die spezifischen Anforderungen und Kompetenzen der Beschäftigten, die unsichtbare Arbeit ausführen, nicht als Leistung gesehen und anerkannt werden, ergeben sich hieraus Anerkennungsdefizite dieser Arbeit. Anerkennung im Sinne emotionaler Zuwendung erfahren Beschäftigte wesentlich durch den »personalen« Kunden, also durch einzelne, oft Stammkunden, die sie aus der Anonymität der »Unperson« herausheben und lebensweltliche Elemente in die Arbeit einbringen.

Dienstleistungsarbeit besitzt derzeit nach wie vor ein Element von Servilität. Gerade Konzepte der Kundenorientierung, in denen der Kunde als Souverän konstruiert wird, weisen den Dienstleistungsbeschäftigten eine subalterne Position zu. Dieses Beziehungskonzept passt indes nicht zum modernen Verständnis individueller Subjektivität, und es steht im Kontrast zur kulturellen Entwicklung der Selbst-Bedienung. Hiermit reproduziert sich das geringe Sozialprestige von Dienstleistungsarbeiten. Wenn der Kunde als König behandelt wird, der stets Recht habe, so bringt dies zudem nicht nur Selbst-Verleugnung des Dienstleisters, sondern zugleich Missachtung des Kunden zum Ausdruck. Das Bild vom Kunden als König wird entsprechend oft sarkastisch kommentiert. So bedeutet Servilität zugleich Distanz und Indifferenz gegenüber dem Kunden.

Mit der Entwicklung der Dienstleistungsgesellschaft in der Moderne steht die Frage auf der Tagesordnung, wie personenbezogene Dienstleistung eine Form und eine Rahmung bekommen kann, in der sie als eine Beziehung gestaltet ist, in der der Kunde im Mittelpunkt steht, sich Dienstleister und Kunde aber auf gleicher Augenhöhe begegnen. Zivile Kundenorientierung in diesem Sinne sollte bedeuten, einen Austausch zu realisieren zwischen der Erfahrung und Kompetenz der Beschäftigten und dem Anliegen, subjektiven Bedürfnis sowie Zufriedenheitsgefühl der Kunden. Gerade diese wechselseitige Kommunikationsleistung wäre dann Gegenstand von professioneller Kundenorientierung. Diese Professionalität bedarf natürlich der Anerkennung. Diese ist sowohl eine kulturelle Aufgabe – Hebung des Prestiges der Dienstleistungsberufe – als auch eine der intersubjektiven Anerkennung im Betrieb und in der Arbeit.

Veröffentlichungen

Holtgrewe, Ursula und Stephan Voswinkel 2002: Kundenorientierung zwischen Mythos, Organisationsrationalität und Eigensinn der Beschäftigten, in: Dieter Sauer (Hg.): DIENST – LEISTUNG(S) – ARBEIT – Leistung und Kundenorientierung in tertiären Organisationen. Reihe ISF-München-Forschungsberichte. München, 99–118.

Voswinkel, Stephan und Anna Korzekwa 2003: Bürokratische Kundenorientierung und die Motivation der Mitarbeiter, in: Mitteilungen des Instituts für Sozialforschung 14, Frankfurt a. M., 147–163.

Jacobsen, Heike und Stephan Voswinkel (Hg.) 2003: Dienstleistungsarbeit – Dienstleistungskultur. Arbeitspapier 1. Cottbus: Deutsche Vereinigung für sozialwissenschaftliche Arbeitsmarktforschung e. V. (SAMF).

Voswinkel, Stephan 2004: Typologische Überlegungen zur Friseur-Dienstleistung, in: Wolfgang Dunkel und Kerstin Rieder (Hg.): Interaktion im Salon. Analysen interaktiver Arbeit anhand eines Dokumentarfilms zum Friseurhandwerk. München: Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF), 109–123.

Voswinkel, Stephan 2004: Kundenorientierung, in: Ulrich Bröckling, Susanne Krassmann und Thomas Lemke (Hg.): Glossar der Gegenwart. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 145–151.

Voswinkel, Stephan 2004: Für eine Servicekultur auf Augenhöhe, in: Mitbestimmung 12, 10–15.

Voswinkel, Stephan 2005: Der funktionale und der personale Kunde, in: Heike Jacobsen und Stephan Voswinkel (Hg.): Der Kunde in der Dienstleistungsbeziehung. Beiträge zur Soziologie der Dienstleistung. Wiesbaden: VS Verlag, 81–100.

Voswinkel, Stephan 2005: Kompetenz und Ratlosigkeit: Der sich selbst bedie­nende Kunde, in: Peter Lummel und Alexandra Deak (Hg.): Einkaufen! Eine Geschichte des täglichen Bedarfs. Berlin: Verein der Freunde der Domäne Dahlem, 213–220.

Voswinkel, Stephan 2005: Selbstbedienung: Die gesteuerte Kundensouveränität, in: Kai-Uwe Hellmann und Dominik Schrage (Hg.): Das Management der Kunden. Studien zur Soziologie des Shopping. Wiesbaden: VS Verlag, 89–109.

Voswinkel, Stephan 2006: Logiken und Dilemmata der Dienstleistungsarbeit und -organisation, in: Karl-Siegbert Rehberg (Hg.): Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München (CD-ROM). Frankfurt a. M.: Campus, 3677–3685.

Voswinkel, Stephan 2006: Anerkennungsdefizite und -chancen der Dienstleistungsarbeit, in: Deryk Streich und Dorothee Wahl (Hg.): Moderne Dienstleistungen: Impulse für Innovation, Wachstum und Beschäftigung. Beiträge der 6. Dienstleistungstagung des BMBF. Frankfurt a. M. und New York: Campus, 243–247.

Stephan Voswinkel (unter Mitarbeit von Anna Korzekwa) 2005: Welche Kundenorientierung? Anerkennung in der Dienstleistungsarbeit. Berlin: edition sigma.

Antragsteller:in